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Vom fantasierenden Wanderer zum Höllenritt

 
Das Ereignis dieses randvollen Albums mit drei reifen und gewichtigen Klavierwerken Franz Schuberts ist Konstanze Eickhorsts Ton- und Farbgebung. Weich, rund und voll wird durchgehend artikuliert, ohne dass je eine Linie verschwimmen würde; dazu paßt die angenehm abgedunkelte Beleuchtung, die übrigens durch die zurückhaltende und dennoch präsente Klangregie sehr gut unterstützt wird. Das macht insbesondere die Wanderer-Fantasie zu einem ästhetischen Vergnügen, da dieses Stück mit seiner Neigung zu blockhafter Akkordik und seinem ständigen rhythmischen Insistieren vor jener strahlenden Kälte bewahrt wird, die viele Interpretationen durchzieht.
 

 
Die Nebengedanken, etwa das zweite Thema im Kopfsatz, werden zusätzlich leicht verhangen gespielt, was nicht nur nobel wirkt, sondern auch der historischen Aufführungspraxis entsprechen dürfte. Konstanze Eickhorsts Kultiviertheit führt jedoch gleichwohl nie zu einer Verharmlosung der Musik. Im fünften der Moments musicaux D 780, dem zweiten in f-Moll, aber auch in der Durchführung des Kopfsatzes der Wanderer-Fantasie erscheinen höchst intensive, geradezu aufschreiartige Passagen; die Kunst der Kämmerling- und Perlemuter-Schülerin ist, selbst noch diese Spitzenwerte stets organisch in das weite, doch nie zerrissen wirkende Panorama einzubinden. Selbst prachtvolle Passagen wie das Finale der Wanderer-Fantasie oder nervöse Sätze wie das Finale der späten Sonate c-Moll D 958 brechen nicht indiskret heraus. Besonders hervorzuheben ist, wie die Bremerin etwa im ersten der beiden Moments musicaux in As-Dur auch konventionelle Begleitfiguren mit Bedeutung auflädt. Generell sichert diese interpretatorische Klugheit der Musik eine Emotionalität, die viel tiefer und eindrucksvoller wirkt als manche gegenwärtigen Tendenzen zur Übertreibung.  (Klassik Heute am 6. März 2013)

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Und noch eine kluge Auseinandersetzung mit Schuberts Welt! Die verdanken wir der deutschen Pianistin Konstanze Eickhorst, die bestens von der Aufnahmetechnik unterstützt wird. Sie bietet eine der faszinierendsten Interpretationen der »Wanderer-Fantasie«, die ich in letzter Zeit gehört habe. Sie geht das Werk mehr als zügig an […] doch ihre Kunst der Tongebung verhindert, dass ihr farbenreiches Spiel überhastet wirkt und die musikalischen Linien verwischt werden. Alles ist klar, durchsichtig und zugleich rhythmisch und dramatisch intensiv. Die Ernsthaftigkeit der Deutung bestätigt, dass wir es hier mit einer zwar eigenwilligen, aber den Werken dienenden Pianistin zu tun haben. Das bestätigt auch Frau Eickhorsts Interpretation der sechs »Moments Musicaux« D 780, in denen sie ein gesundes Gleichgewicht zwischen Dramatik und Nachdenklichkeit erreicht […] Jeder Akzent ist stimmig und trägt dazu bei, dass die Emotionalität »von innen wirkt«. Erwähnen wir auch das »Allegro moderato«, f-Moll, das oft leider eher banal klingt, hier aber seine volle Musikalität offenbart.

 
Auch in der c-Moll-Sonate D. 958 bestätigt Konstanze Eickhorst ihr Wissen um Schubert. Sie schält die vielschichtigen Strukturen klug heraus, gibt jeder Wiederholung ihr Eigenleben und macht deutlich, wie Schubert gerade in seinen letzten Sonaten eine ganz eigene und eigenwillige Musikwelt erschaffen hat und seine Persönlichkeit zur Geltung bringt.  (pizzicato September 2013)

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So oft ich diese Aufnahmen in den letzten Wochen gehört habe – immer habe ich neue Dinge gefunden, neue Aspekte der Musik, die ich nicht immer gehört habe. Diese Aufnahme macht durch und durch den Eindruck, richtig zu sein – das ist eine Qualität, die sich schwer in Worte fassen läßt, die man aber spürt, wenn man diesen Interpretationen zuhört. Es ist das erste Mal, daß ich mich mit Frau Eickhorsts Kunst befasse, aber es wird ganz bestimmt nicht das letzte Mal sein. (Scott Norriega in: Fanfare, 7/8 2013)

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Eickhorst hat viel Sinn für die Schärfe in dieser Musik, und sie hat auch den Mut, sie fast zum Stehen zu bringen. Und hat man denn die Wanderer-Fantasie, die gerne als pianistisches Bravourstück gegeben wird, in den Produktionen der vergangenen Jahre je so verständig und so transparent disponiert gehört? Nein. Abgesehen vom genauen Blick für die epischen Abschweifungen, die austarierten Tempi und einem Reichtum an Klangfarben, die der Steinway beisteuert.  (Schwäbische Zeitung vom 18. März 2013)

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Von Konstanze Eickhorst, der Klavierprofessorin aus Lübeck , weiß man seit langem, dass sie eine »ernste« Künstlerin ist, dass sie gern Klischees des scheinbar »Leichten« und »Liebenswerten« zerrupft, dass sie die dunklen Seiten eines Komponistencharakters mindestens ebenso zum Klingen bringt wie die hellen, schwebenden oder leichtfüßigen. Das gilt vor allem für die Werke von Wolfgang Amadeus Mozart. Wenn sie sich also für ein neues CD-Format mit einem fünfteiligen »Mozart in Мoll« entscheidet, dann liegt ihr das durchaus nahe. Sie muss sich in die Melancholie der Harmonien und die »brüchigen« Strukturen seiner »molligen« Fantasien und Sonaten nicht hineinquälen. Ihr Zugang zu den jeweils zwei Sonaten und Fantasien sowie zum Rondo KV 511 setzt jedoch einen Kontrapunkt zum heiteren, jungenhaften, zuweilen sogar schelmischen Mozart. Sie atmet in ihren schlüssigen, logisch aufgebauten Interpretationen das Klima der Schatten, sie sieht in diesen musikalischen Landschaften wolkenverhangene Zonen, sie grübelt in Geste und Akkorden, in Entwicklungen und Steigerungen über das Leben mit seinen seelischen Verhüllungen oder gar Rissen. Sie steigt in psychologische Tiefen – ohne dass man es am poetischen Fluss ihrer Vorträge sofort als bedrückend oder als düstere Warnung vor den Hürden des Alltags empfindet.

Und diese Einschätzung, dieses Verständnis von Musik aus früheren Epochen lässt sich auch auf Franz Schubert übertragen. Seine Wanderer-Fantasie oder seine Sonate c-Moll aus der biographischen Endphase übernehmen diese Position, die bei Mozart mit glühender Lyrik aufleuchtet. Auch (oder gerade!) bei der Romantik. Schubert mit seiner brüchigen Sensibilität trifft Konstanze Eickhorst, die in Bremen aufwuchs und bei Karl-Heinz Kämmerling in Hannover die wichtigste Hochschul- und Lernzeit durchlief, diesen Топ einer Zwischen-Kultur – Musik zwischen Zeitbezug und tiefer Erkenntnis, zwischen Vision und subtiler Emotion, bei der immer die Niederlage mitschwingen könnte. Diese Pianistin nimmt den Hörer (weniger den genießenden Konsumenten) mit auf eine Reise zu schwierigen Stationen, sogar zu Krisenmomenten der jeweiligen Komponisten. Und welcher Musiker ist schon frei davon?

Doch soll die Rezension der beiden jüngsten Einspielungen der technisch und intellektuell bravourösen Konstanze Eickhorst nicht den Dauer-Eindruck von Trauer-, Klage- oder Todesklängen wecken. Die Solistin kann auch mit Lust über die schwarzweißen Tasten jagen (Wanderer-Fantasie), kann auch das Elegante in den Mittelpunkt rücken (Rondo a-Мoll), kann auch die pure Virtuosität mal laufen lassen (Schuberts Moment musicaux) – aber nimmt man den Grundton wahr, dann bleibt man dort, was eingangs schon mit dem typisch deutschen Begriff der »ernsten Musik« gemeint war. Sie widersetzt sich erfolgreich dem Gedanken, dass Musik Herz und Seele in hübsche Watte verpackt. Denn diese räumt sie konsequent und ambitioniert weg – bei Mozart wie auch bei Schubert. (Theater Pur am 4. Mai 2013)